01.07.2025
Evaluation des ProstSchG empfiehlt: Intendierte Wirkung des Gesetzes verfehlt - Beratung, Partizipation und Menschenrechte statt Bürokratie und Kontrolle
BMFSFJ veröffentlicht Evaluationsbericht zum ProstSchG
Im Juli 2017 trat bundesweit das ProstSchG in Kraft mit dem Ziel die Rechte von Sexarbeitenden zu stärken, zur Verbesserung von Gesundheit und Sicherheit beizutragen sowie die Bekämpfung von Menschenhandel und Ausbeutung zu gewährleisten. SeLA informiert seit Inkrafttreten vor allem über die Umsetzung des Gesetzes in Rostock und M-V und berät Sexarbeiter*innen zu ihren Rechten und Pflichten.
Während der auslaufenden Corona-Pandemie im Jahre 2022 begann die umfassende Evaluation des ProstSchG durch das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN), beauftragt vom Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Jetzt ist die Evaluation abgeschlossen und wurde mit einem 600seitigen Abschlussbericht vom BMFSFJ veröffentlicht.
SeLA hat als Beratungsstelle für Sexarbeiter*innen auch an der Evaluation teilgenommen und die Erfahrungen in einem Interview mit dem KfN geteilt. Es wurden zudem weitere Beratungsstellen, Sexarbeitende (n=2.350), Betreiber*innen (n=280), Kund*innen (n=3.400) und Behördenmitarbeitende (n=800) in verschiedenen Methoden angehört.
Das ProstSchG enthält umfassende Regelungen zu Anmelde- und Beratungspflichten (§§ 3–10 ProstSchG), Gesundheitsberatung (§ 10), Aliasbescheinigung (§ 6), Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten (§§ 12–23), sowie Kontroll- und Überwachungspflichten (§§ 29–31).
Bereits vor Inkrafttreten 2017 hatte SeLA konkrete Bedenken zum Gesetz und deren Umsetzung geäußert. Auch Verbände wie das Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter e.V. (bufaS e.V.), die Diakonie Deutschland, die Deutsche Aidshilfe u.a. wiesen darauf hin, dass das Gesetz der Idee des Schutzes nicht gerecht werde und vornehmlich mehr Hürden für Sexarbeiter*innen erzeuge. Zudem entstehe die Gefahr, das Hurenstigma und die Diskriminierung von Sexarbeiter*innen zu manifestieren.
Die veröffentlichte Evaluation hat verschiedene Effekte des Gesetzes vor allem auf die Zielgruppe untersucht und ist nach Ansicht von SeLA zu vorausgesagten Ergebnissen gekommen. Der Evaluation ist zudem zu entnehmen, dass sich viele Sexarbeiter*innen nicht offiziell nach ProstSchG registrieren. Somit lassen die seit 2017 erhobenen Zahlen der angemeldeten Prostituierten keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Anzahl der bundesweit Tätigen zu. Der Zugang zur Zielgruppe gilt nach den Erkenntnissen des KfN nur für angemeldete Sexarbeiter*innen. Somit bleiben besonders gefährdete Personen nach wie vor schlechter erreichbar. Insgesamt hat das Gesetz überwiegend eine Kontroll- und Pflichtfunktion. Das Gesetz verfehlt besonders vulnerable Gruppen wie Migrant*innen in seiner Schutzwirkung. Somit entstehen gegenteilige Effekte. Denn besonders in diesem Kontext verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen und die Unsicherheit von Menschen in der Sexarbeit nimmt zu. Auch gibt es kaum Auswirkungen auf die Bekämpfung von Menschenhandel.
Wichtigste Schlussfolgerung ist hier, wie von SeLA seit Inkrafttreten 2017 hingewiesen, dass das ProstSchG wenig Rücksicht auf die Heterogenität der Zielgruppe nimmt. Erschwerend kommt hinzu, dass Sexarbeit/Prostitution durch das Gesetz einen Sonderstatus aufrechterhält und nicht als Arbeit anerkannt ist. Dies bringt vor allem unüberwindbare Hürden mit sich, die nur durch eine entstigmatisierende, antidiskriminierende und enttabuisierende Gesetzeslage überwunden werden können.
Die Evaluation gibt einen guten Überblick in die Sexarbeit in Deutschland und ist in ihrer Methodenvielfalt die erste Studie dieser Größenordnung. Als Beratungsstelle unterstützen wir vor allem die Empfehlung der Evaluation: Die intendierten Wirkungen sind nicht eingetreten, so dass politisch ein Paradigmenwechsel erfolgsversprechender sei: Beratung, Partizipation und Menschenrechte statt Bürokratie und Kontrolle.
Für Beratungsangebote wie SeLA ist nun wichtig, welches politische Handeln für Sexarbeiter*innen aus den Ergebnissen hervorgeht und dass dies langfristig zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen von Sexarbeiter*innen beiträgt.
Informationen SeLA
Seit 2014 beraten die Sozialarbeiterinnen Nadine Herrmann und Sandra Kamitz in der Beratungsstelle für Menschen in der Sexarbeit (SeLA) in der Hansestadt Rostock Sexarbeiter*innen. Seitdem wurden mehr als 3.500 Beratungen durchgeführt, u.a. auch direkt an den Arbeitsorten wie Modellwohnungen, Clubs und Massagesalons. Die überwiegend anonymen Beratungen sind an den vielfältigen Arbeits- und Lebensbedingungen von Sexarbeiter*innen orientiert. SeLA unterstützt und begleitet parteilich Klient*innen bei Fragen zu ihrer Tätigkeit wie bspw. die rechtliche Situation durch das ProstituiertenSchutzGesetz, Fragen zu Sozialversicherungen und Steuerangelegenheiten, aber auch zu gesundheitlichen Anliegen und ganz persönlichen psycho-sozialen Anliegen.
Für SeLA bleibt es weiterhin Aufgabe, Sexarbeiter*innen beratend und begleitend zu unterstützen und die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren. Denn Sexarbeit ist und bleibt soziale Realität!