28.08.2020
Am 27. August 2020 hat vor dem Rostocker Landgericht der Prozess gegen Christian B. begonnen. Unsere Kollegin Rena Sakowski aus der Koordinierungsstelle CORA hat den Prozessauftakt beobachtet.
Warum beobachten Sie diesen Prozess?
Es geht hier um eine Gewalttat gegen eine Frau. Christian B. sah laut Anklage seinen „Besitzanspruch“ auf diese Frau gefährdet und wollte offensichtlich ihre selbstbestimmte Entscheidung, sich von ihm zu trennen, nicht akzeptieren. Als Mitarbeiterin von STARK MACHEN e.V. ist es mir ein Anliegen, so einen Prozess zu beobachten, weil es hier unserer Ansicht nach eindeutig um einen versuchten Femizid geht. Femizid bedeutet die Tötung von Frauen und Mädchen, weil sie Frauen und Mädchen sind, die als solche selbstbestimmte Entscheidungen treffen. Die Täter antworten darauf mit Gewalt, mit Mord.
Warum benutzen Sie dieses Wort Femizid?
Das haben wir uns nicht ausgedacht. Der Begriff Femizid geht auf die südafrikanische Soziologin Diana E. H. Russell zurück. In vielen anderen Staaten gibt es mittlerweile einen eigenen Straftatbestand für Femizide, was selbstverständlich auch in Deutschland sinnvoll wäre, um Gewalt gegen Frauen sichtbarer zu machen. Außerdem sollten die Vorgaben der sogenannten Istanbul-Konvention berücksichtigt werden. Die Istanbul-Konvention – dass ist internationales Recht, das seit Februar 2018 auch in der Bundesrepublik im Range eines Bundesgesetzes (BGB II 2017, S.1026) gilt. Es geht dabei um tiefgreifende Rechte von Frauen hinsichtlich Prävention, Intervention und Zeuginnenschutz im Falle von häuslicher Gewalt.
Die Gesetze in Deutschland sind doch schon weitreichende - der Täter ist wegen versuchten Mordes angeklagt. Was bringt dieses zusätzliche Gesetz der geschädigten Frau?
Für Prävention ist es in diesem Falle zu spät - Stefanie K. hat massive Gewalt erlebt, glücklicherweise - dank eines beherzten und sehr mutigen Nachbarn - überlebt. Dank der Istanbul-Konvention und der Opferschutzrichtlinie von 2012 hat sie Anspruch auf Zeuginnenschutz und Anspruch auf eine psychosoziale Prozessbegleitung. Vor allem aber ist Artikel 46 der Istanbul-Konvention entscheidend. Der verlangt, dass strafschärfend berücksichtigt wird, wenn die Tat vom Expartner begangen wurde, wenn Waffen benutzt wurden oder wenn ein extremer Grad an Gewalt mit der Tat einherging, was hier der Fall ist.
Warum ist das wichtig?
Weil es in Deutschland häufig immer noch als strafmildernd gilt, wenn die Gewalttat von einem Partner oder Ex-Partner begangen wird. In den Medien wird dann von Beziehungsdrama oder Familientragödie gesprochen. Das verharmlost die Tat! Was aber ändert eine Beziehung an einem Mord? So eine Tat ist durch nichts zu entschuldigen, schon gar nicht durch eine Beziehung. Die Beziehung ist ja kein Motiv! Das Motiv für Mord ist im Falle eines Femizids ein vermeintlicher Besitzanspruch über eine Frau. Der Anspruch, entscheiden zu dürfen, was diese Frau tut, wie sie lebt. Aber das Wort Femizid ist heute im Gerichtssaal nicht gefallen. Das passiert in deutschen Gerichten nach wie vor selten. Der Deutsche Juristinnenbund fordert deshalb auch, Femizid als Straftatbestand ins Strafgesetzbuch aufzunehmen.
Was bedeutet das alles konkret für Stefanie K.?
Stefanie K. musste nach ihrer Trennung Stalking, schwere Körperverletzung und einen versuchten Mord erleben. Nicht ihre Beziehung zu Christian B. sollte hier verhandelt werden, sondern seine Motive für die Tat. Die Staatsanwältin hat es in ihrer Anklageschrift vorgetragen: „Wenn ich Dich nicht kriege, dann keiner!“ Und das im Jahr 2020! Stefanie K. hatte und hat das Recht, selbst zu entscheiden, mit wem sie lebt und welchen Weg sie geht. Und niemand darf ihr das verwehren. Wenn das am Rostocker Landgericht und auch in der medialen Öffentlichkeit gewürdigt wird, wäre das ein großer Erfolg.
Für weitere Infos zum Prozess hier die Pressemitteilung des Landgericht Rostock vom 12.08.2020 - Triggerwarnung!